Stadtraum Dresden. Gemeinwesen und öffentlicher Raum

Stadtraum Dresden. Gemeinwesen und öffentlicher Raum

Organisatoren
Heidrun Laudel; Gunda Ulbricht; ZukunftsWerk Stadt
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.09.2006 -
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Von
Gunda Ulbricht, Dresden

Dresden „begeht“ 2006 seine Geschichte. Vor 800 Jahren wurde der Ort erstmals urkundlich erwähnt. Die Stadt feiert das Datum mit einer inzwischen kaum noch übersehbaren Zahl an Projekten, die sich jetzt, gegen Ende des Jahres, zunehmend mit der Zukunft befassen. In die Suche nach den "Urban potentials" der "ZukunftsWerk Stadt"1 als einem der zentralen Projekte im Festprogramm fügt sich auch ein spezieller Blick auf die Geschichte ein.

Aus der Einsicht heraus, dass historische Strukturen ein wesentlicher Anhaltspunkt für den Um- und Weiterbau der Stadt sind, sowohl dort, wo sie aufgenommen und fortgebildet, als auch dort, wo sie verschüttet, gebrochen und negiert werden, ging es den Referenten um den öffentlichen Raum als baulichen Ausdruck der Stadtgeschichte. Die Wissenschaftler nahmen aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen die Stadt als den Handlungsraum der Bürger in den Blick.

Als besondere Herausforderung erwies sich dabei das Experiment, den interdisziplinären Ansatz ernst zu nehmen und die beteiligten Bau- und Architekturhistoriker zur Beschäftigung mit den Verwaltungsstrukturen, die Stadtgeschichtsforscher zur Bewertung öffentlicher Räume und die Spezialisten der Finanzgeschichte zum Blick auf die Parlamentarismusdebatte zu bewegen.

Matthias Meinhardt (Halle) wählte als Einstieg in sein Thema "Residenzbildung greift Raum. Stadtentwicklung und Raumbesetzung im Dresden des 16. Jahrhunderts“ das Beispiel der Amtseinführung Daniel Gresers als Superintendent im Jahre 1542. Obwohl das Patronat beim Rat lag, waren die Bürgermeister damals wie niedrige Befehlsempfänger auf das Schloss bestellt worden, um die zuvor bei Hofe getroffene Entscheidung nur noch rechtlich zu bestätigen. Für Meinhardt wirft dieser Vorgang ein „helles Schlaglicht“ auf die Machtasymmetrie zugunsten des fürstlichen Stadtherren, wie sie in dieser Zeit für Residenzstädte keineswegs selbstverständlich war. Hier begegnet man einer „spezifischen Kräfteverteilung“ als „Resultat einer langen Stadtherrschaft der Wettiner an diesem Ort, in dem Rollengefüge, Machtansprüche und Handlungsspielräume sukzessive ausgehandelt worden waren“.

Auf der Basis seiner intensiven Forschungen zum Verhältnis von Hof und Stadt im Dresden des 16. und 17. Jahrhunderts begriff Meinhardt den Titel seines Vortrages „Residenzbildung greift Raum“ zunächst in ganz wörtlichem Sinn. In einem langen Prozess mit Schüben und Brüchen, wobei dem 16. Jahrhundert eine besondere Dynamik zukommt, weitete sich die Residenz topographisch und architektonisch aus. Auch unter dem Gesichtspunkt „symbolischer Herrschaftslegitimation“ diente dafür zunächst das angestammte Burgareal im Nordwesten an der Elbe. Als das nicht mehr ausreichte, griff man nach dem Stadterweiterungsgebiet um den Neumarkt und den Liegenschaften des ehemaligen Franziskanerklosters. Der Aufkauf bürgerlicher Häuser – wie der für das „Fraumutterhaus“ in der Kreuzgasse – hielt sich in Grenzen.

Was sich topographisch-architektonisch ereignete, könne man – so Meinhardt – „naiv … als Blüte deuten“. Schlägt man aber – wie es der Referent im Anschluss tat – den Bogen zum sozio-ökonomischen Wandel, dann tut sich einem ein konfliktreicher Prozess auf. So profitierte etwa ein Teil der Bürgerschaft von den vermehrten Erwerbschancen im Zuge des Ausbaus der Hofhaltung. Ein anderer Teil wurde in den sozialen Abstieg getrieben. Im Widerspruch zu dem beachtlichen Bevölkerungswachstum stand die Beschränkung der bürgerlichen Autonomie durch die fürstlichen Stadtherren auf vielen Feldern. In diesem Kontext erscheinen die anhaltenden Auseinandersetzungen um den Abbruch des Rathauses auf dem Altmarkt und dessen Neubau an weniger zentraler Stelle „als semiotische Machtbrechung“, der allerdings der Rat durch geschicktes Agieren zunächst noch Widerstand entgegenzusetzen wusste.

Stefan Hertzig (Dresden) sprach zu „Bürgergemeinde und Residenz. Das Beispiel des Dresdner Neumarktes vor und nach der Zerstörung 1760“. Die Intention des Referenten ging dahin, soziologische Erklärungsmuster für die Entstehung der einzigartigen Raumbilder zu liefern, die aus zahlreichen Abbildungen mit den berühmten Blickbeziehungen zur Frauenkirche bekannt sind und, was verwundern mag, durch die Kombination von Gebäuden aus unterschiedlichen architektonischen Epochen entstanden.

Gingen schon im 16. Jahrhundert Raumveränderungen – wie die Anlage der Augustusstraße im Norden und der Moritzstraße im Süden – auf kurfürstliche Initiative zurück, so betraf das ganz besonders die Gesamtplanung des Neumarktes im 18. Jahrhundert, die damals in die umfassenderen Projekte zum Umbau des Schlosses und des Zeughausareals eingebunden waren. Unter ihnen ist der sogenannte „Naumannplan“ von 1717/18 besonders aufschlussreich, denn er enthielt – fünf Jahre bevor George Bähr mit dem Projekt betraut wurde – bereits den barocken Neubau der Frauenkirche und zwar interessanterweise schon damals als einen Zentralbau über quadratischem Grundriss und mit abgeschrägten Ecken. Diese am Ende auch ausgeführte Bauform war nötig, um die gewünschten Blickbeziehungen zu dem völlig umgebauten Zeughausareal herzustellen. Von den radikalen Umgestaltungsplänen wurde allerdings kaum etwas verwirklicht. Der Dualismus zwischen dem Hof und den Landständen mit seinem komplizierten politischen, religiösen und nicht zuletzt finanziellen Machtgefüge ließ groß angelegte Projekte mit weit reichenden Abbrüchen, Grundstücksaufkäufen und der Neustrukturierung bürgerlicher Parzellen nicht zu. Unter anderem blieb das völlig veraltete Renaissance-Gewandhaus bis 1798 stehen, an dem sich heute die Diskussion um die Rekonstruktion des Raumbildes am Neumarkt entzündet. Vor 1760 war es nach Hertzig eindeutig der Hof, der immer wieder sowohl städtebauliche als auch baukünstlerische Modernisierungen in seiner Residenz initiierte. Aufgrund der besonderen gesellschaftlichen Situation Kursachsens wurden diese meist monumental gedachten Vorstellungen jedoch teils gebremst, teils völlig verhindert, zumindest jedoch immer wieder ins Kleinteilige gebrochen. Nach 1760 war es eindeutig das Bürgertum, an dem das Bauen in der Residenz lag, doch geschah dies noch bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts in städtebaulicher wie auch künstlerischer Hinsicht auf den Grundlagen des „Augusteischen Zeitalters“.

Heidrun Laudel (Dresden) hatte ihren Beitrag „Der Altstadtring im 19. Jahrhundert – eine verpasste Chance in der Entwicklung der Stadt“ überschrieben. Damit war im Titel angemerkt, was schon ein flüchtiger Blick auf die Karten und Pläne der Zeit verrät: Dresden schneidet hinsichtlich seines Umganges mit dem einstigen Festungsgelände im Vergleich mit anderen Groß- und selbst Mittelstädten nicht sonderlich gut ab. Dieses Fazit wiegt um so schwerer, als die Schleifung der Festungsanlagen vor und nach 1800 und ihre Umgestaltung in einen Raum, der die Vorstädte mit der Kernstadt verband, eine nahezu einmalige planerische Herausforderung der Städte in ihrer langen Geschichte gewesen ist. Wie dieses gewaltige Bauvorhaben genutzt wurde, um attraktive öffentliche Räume zu schaffen, kann als Gradmesser für die Gestaltungskraft und den Gestaltungswillen einer Kommune angesehen werden.

Nach Ansicht der Referentin hätte die Situation in Dresden für ein solches Vorhaben zu Beginn des 19. Jh. nicht ungünstiger sein können. Weder kam hier – wie in vergleichbaren Residenzstädten der Fall – noch einmal fürstlicher Bauwille zum Tragen, noch gab es eine einflussreiche Bürgervertretung, die eine umfassendere Planungsidee hätte umsetzen können. So wurde das frei werdende Gelände zwischen den einstigen Vortorbereichen den Grundstückseignern weitegehend als Gartenland zugeschlagen, um so – Zug um Zug – mit dem eingespielten Geld die Kosten der Demolierung zu decken.

Erst sechs Jahrzehnte später ging die Initiative für eine Ringpromenade, die diesen Namen verdient, von der Stadtkommune aus. Zwar war 1838–41 das Hoftheater als repräsentativer Ort des Gemeinwesens und Teil eines Ringprojekts entstanden. Doch hatte sein Schöpfer Gottfried Semper das Projekt letztlich nur realisieren können, weil man mit den Geldern der königlichen Schatulle „klamm heimlich“ – am Parlament vorbei – einfach zu bauen begann. 1872 war dann die städtische Verwaltung so weit etabliert, dass der damalige Dirigent des Stadtbauamtes Alfred Stübel vorschlagen konnte, die Privatgärten aufzulösen und den Altstädter Ring in einen Boulevard à la Richard Lenoir in Paris zu verwandeln. Ausgerechnet das Land, das in anderen Fällen für eine gezügelte Stadtentwicklung gesorgt hatte, versagte der verbleibenden einzig möglichen Lösung, den Raum zu lebendiger öffentlicher Nutzung zu erschließen, vorerst seinen Segen. Als zehn Jahre später – 1886 – tatsächlich mit der Neuordnung des Altstädter Ringes begonnen wurde, ging es nicht mehr um das Flanieren der Bürger sondern um das Fließen des Verkehrs. Die Entwicklung zu einer immer breiteren Verkehrstrasse war eingeleitet. Sie führte im 20. Jh. unter dem Vorzeichen der „autogerechten Stadt“ schließlich zum Aufbrechen des Ringes in zwei große Straßentangenten.

Sylvia Butenschön (Berlin) sah eine „Offensive für das städtische Grün in der Kaiserzeit“ gegeben, bei der Bürgerengagement einerseits und Kommunalpolitik andererseits eine Rolle spielten. Um 1870 ließen das rasante Stadtwachstum und die verdichtete Bauweise das Stadtbild steinern und den Weg in die landschaftliche Umgebung (zu) lang erscheinen. Nicht zuletzt forderte das Nachlassen des Fremdenverkehrs zu einem verstärkten Engagements für das städtische Grün heraus. Es waren verschiedene Einzelpersonen, Bürgervereinigungen und die gewählten Bürgervertreter, die sich um die Verschönerung der Stadt und die Verbesserung der Lebensqualität der Einwohner bemühten. Ein Meilenstein in der Entwicklung stellte die Einrichtung einer Stadtgartenverwaltung – besetzt mit einem qualifizierten Stadtgärtner – und damit die ständige Etablierung dieses Themas in der Verwaltung im Jahre 1875 dar.

Nach Butenschöns Untersuchungen waren die wesentlichen Träger der Projekte sowohl verschiedene Bürgervereine, die sich u. a. für die Erschließung der Randbereiche der Dresdner Heide als Waldpark einsetzten, als auch herausragende Einzelpersonen – genannt sei der Staatsbeamte von Königsheim, der 1868/70 den Waldpark Blasewitz initiierte. Die in der Literatur bisweilen auftauchende Behauptung, es habe der Oberbürgermeister Stübel auf diesem Gebiet besonders fördernd gewirkt, ließ sich nicht so ohne weiteres nachweisen.

„Um 1900“, so Ralf Lunau (Dresden), befand sich die „Stadtentwicklung im Umbruch“. Das allgemeine Bild von Dresden um 1900 ist das einer prosperierenden Stadt, die – förmlich über Nacht – zu einem Zentrum der Kunstgewerbebewegung avancierte, die mit ihren zahlreichen Ausstellungen deutschlandweit und darüber hinaus ins Blickfeld geriet und deren Entwicklung in einem grandiosen baulichen Ausbau kulminierte, den man in erster Linie mit dem Namen des Stadtbaurates Hans Erlwein verbindet.

Lunau machte besonders darauf aufmerksam, dass im Zeitraum zwischen 1890 und 1914 die Entwicklung der Stadt Dresden maßgeblich von zwei gegensätzlichen Tendenzen ihrer Einwohnerzahlen geprägt war. Der Bevölkerungszuwachs innerhalb der Grenzen von 1892 ging erstmals seit den Napoleonischen Kriegen zurück, in den Jahren 1901 und 1902 verringerte sich sogar die absolute Einwohnerzahl. Erstmals in der Geschichte der Stadt wurde ein solcher Vorgang nicht durch Krieg oder Epidemien verursacht, sondern korrelierte im Wesentlichen mit steigendem Wohlstand und zyklischer Wirtschaftskrise. Im selben Zeitraum erfuhr die Stadt durch die Eingemeindungen den stärksten Anstieg der Bevölkerungszahlen bis in die Gegenwart.

Allmählich wuchs die Erkenntnis, auf diesen Prozess durch Aufstellung eines einheitlichen Bebauungsplans Einfluss nehmen zu müssen. Die von den Eingemeindungen betroffenen Gemeinden setzten im Rahmen der Verhandlungen in großem Umfang Baupläne unter ihrer eigenen Federführung durch. Diese sicherten zumeist den Baubestand der alten Ortskerne, regelten die offene Bebauung und fixierten die Areale für Gewerbeansiedlungen. Der Bauordnung der Stadt Dresden von 1905 kam die Rolle einer Zusammenfassung der bestehenden Regularien und der geordneten Überleitung in ein für das gesamte Gebiet der Stadt einheitlich geltendes Regelwerk für kommende Zeiträume zu. In den Bebauungsplänen der eingemeindeten Orte fand Lunau damit wichtige Kristallisationspunkte für die Entstehung eines Flächennutzungsplanes für die Gesamtstadt.

Gunda Ulbricht (Dresden) ging davon aus, dass vor der Städteplanung in der Zwischenkriegszeit zwischen „Visionen und Baracken“ drei zentrale Aufgaben standen, die miteinander verknüpft waren: die Erarbeitung eines Generalbebauungs- und Flächennutzungsplanes, die Integration der 1913 und 1921 eingemeindeten Orte in die Stadt und die Linderung der Wohnungsnot. Es handelte sich um ein Aufgabenspektrum, für dessen Bewältigung kaum Erfahrungen vorlagen. Insbesondere suchte die noch ganz junge Disziplin der Stadtplanung erst ihre Verankerung im Geschehen der Stadtkommune. Zunehmende Parlamentarisierung einerseits und zunehmende Professionalisierung andererseits bestimmten die kommunale Politik und erforderten verschiedene, oft gegensätzliche Lösungen. Auf dem Gebiet der Städteplanung standen deshalb nicht allein fachliche Fragen im Mittelpunkt, sondern auch eine Auseinandersetzung darüber, ob man es mit einer als unpolitisch vorgestellten Verwaltungsaufgabe oder einer Aufgabe der Interessenvertretungen der Bürger zu tun habe. Die Notwendigkeit gründlicher Fachkenntnisse und die ungeheure Vielzahl von Einzelentscheidungen bewirkten dabei ebenso wie die Persönlichkeit des Stadtbaurats Paul Wolf ein Übergewicht der Verwaltung. Die wesentlichen Planungsleistungen erfolgten, wie Ulbricht feststellte, nicht in regelrechten Planungsverfahren, sondern in unspektakulären, beinahe versteckten, Änderungen der Ortsgesetze. Die Entscheidungen, die die städtebauliche Zukunft der öffentlichen Räume in Dresden bestimmen sollten, konnten von den direkt gewählten Bürgervertretern entgegen der gesetzlichen Vorschrift aus Mangel an Fachkenntnissen und Zeit nicht getroffen werden. Deshalb wurden außer dem Zweikollegiensystem von Rat und Stadtverordneten, das die Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen vorsah, örtliche Verwaltungsausschüsse gebildet, die sich speziell den Bausachen widmen sollten. Diese Ausschüsse waren ein direkter Versuch, dem strukturellen Übergewicht der Verwaltung durch Bürgerrepräsentanten entgegenzuwirken, die mit fachlicher Kompetenz aus ihren Berufen und durch die detaillierte Kenntnis der örtlichen Bedingungen die Ratsvorschläge zu beurteilen vermochten.

Erst wenn man sich diese Situation vor Augen hält, erklärt sich der Tatbestand, dass Paul Wolfs Bemühungen, die sich in dem 1930 veröffentlichten Generalbebauungsplan niederschlugen, im Großen und Ganzen als gescheitert angesehen wurden. Wolf selbst fühlte sich und die Bauverwaltung durch die Partizipation der Bürger behindert und entwickelte daraus erhebliche Illusionen hinsichtlich der Herrschaft des Nationalsozialismus.

Simone Hain (Graz) widmete sich den „Träumen in Trümmern“ und richtete ihr Augenmerk besonders auf den städtebaulichen Wettbewerb für das „Neue Dresden“, zu dem im Januar 1946 nicht allein Fachleute, sondern ausdrücklich auch „Liebhaber und Laien“ aufgefordert wurden. Die Referentin verwies auf die Singularität des Ereignisses. Dass über 1000 teilweise detailliert untersetzte Planungsvorschläge eingingen und in einer perfekt vermittelten, international interessiert beobachteten Ausstellung vorgestellt wurden, hat es in keiner anderen kriegszerstörten Stadt Deutschlands gegeben. Viele Vorschläge, führte sie aus, seien nicht auf die Rekonstruktion der städtischen Strukturen, sondern auf eine Neufassung der Räume gerichtet gewesen. Doch habe über dem allen der Imperativ gestanden, keinen Kubikmeter Kulturschutt preis zu geben. Dem Urteil der Alliierten „Dresden is gone“ und dem Vorschlag aus der Wirtschaftskommission der sowjetischen Besatzungszone, die Stadt auf 50% zu schrumpfen, habe sich der damals amtierende Oberbürgermeisters Walter Weidauer entgegengestellt. Er erklärte Ende 1945 den Wiederaufbau der Frauenkirche als wünschenswert und sprach sich gegen eine radikale Neubebauung aus. Dies alles ließ Hain eine eigene Periode der Stadtplanung für die Jahre 1945–1947 vermuten, deren Facetten bislang nur grob erfasst worden seien. Ihre These – insbesondere die skizzierte Haltung Weidauers in jener Aufbruchzeit – löste heftigen Widerspruch aus. Sie wird Anlass zu einer eigenen Arbeitstagung im Laufe des Jahres 2007 sein. Eine erneute Befragung der Quellen und die Einbeziehung von Spezialisten für die Verwaltungsgeschichte der damaligen Zeit und den Denkmalschutz soll zur Klärung der Funktion des Wettbewerbs und zur Aufhellung der Kontroverse um den Wieder- oder Neuaufbau Dresdens beitragen. Auch dieses Thema ist bis in die heutigen Innenstadtplanungen gegenwärtig geblieben.

Abschließend griff Wolfgang Kil (Berlin) aus der Sicht eines Architekturkritikers nochmals direkt in die aktuellen Wertungen der Baugeschichte ein und verdeutlichte am Beispiel der Prager Straße die ideologische Funktion der Architektur. Es ging ihm um den unter dem Stichwort „Ostmoderne“ aufgekommenen neuen kulturkritischen Diskurs, den er ausdrücklich mit den Dresdner Stadtdebatten zu verknüpfen suchte. Das Fazit, das er zog, lautete: Je intensiver Erkenntnisse und Argumente zur Bewertung und Bewahrung von Zeugnissen der „sozialistischen Moderne“ versammelt werden, desto klarer wird der herausragende Rang, den Dresden auch in dieser Epoche von Städtebau und Architektur europaweit einnahm. Kil unterstützte Hains Argumentation und spitzte sie dahingehend zu, dass anklagende Reden heute von der „zweiten Zerstörung Dresdens“ ihm immer als mutwillig erschienen seien, weil sie die historischen Sachlagen ausblendeten und die Akteure in ihrer jeweiligen Zeit lediglich aus der Perspektive unserer historischen Nachkommenschaft be- oder häufiger verurteilten.

Kil schilderte weiter, wie die Protagonisten bis weit in die 1970er Jahre hinein nicht nur um einen Anschluss an den westlichen Mainstream rangen, sondern auch den sozialen Anspruch der Moderne als Grundsatz des Bauens zu verwirklichten suchten und dass es gerade diese egalitäre Vision war, die Bauten wie die Prager Straße nach 1990 ins „Gruselkabinett städtebaulicher Sünden“ verdammte.

Das Bauen stellte sich in seinen Ausführungen als ein Bild des Machtpotenzials und Stadtplanung als symbolischer Ausdruck der Deutungshoheit über die Geschichte einerseits und die Zukunft andererseits dar. Diese Dialektik beschrieb Kil als einen der wesentlichen Faktoren beim Entstehen des Stadtraumes.

Der öffentliche Raum, um den sich alles drehte, wurde durch diese Tagung nicht allein als das sinnlich wahrnehmbare bauliche Phänomen (Platz, Straße, Gemeinschaftsbau) betrachtet, sondern als Handlungsort von Bürgern und als Resultat komplexer kommunaler Entscheidungsprozesse. Es ging um die Wege in den städtischen und staatlichen Gremien, die dazu führten haben, dass Orte der städtischen Öffentlichkeit so und nicht anders entstanden. Produktiv für die Diskussion war dabei, dass sich viele der historischen Konfliktlinien in den Debatten um die heutigen Gestaltungsmöglichkeiten der äußeren Gestalt und der inneren Struktur Dresdens wiederfinden. Wenn auch nicht überall die stark polarisierende Wirkung wie in Dresden zu erwarten ist, hat sich die Debatte um die Entstehung und Entwicklung der baulichen Gestalt der Stadt als Resultat kommunaler Politik an diesem Beispiel doch als erhellend für die – zum Teil überraschenden – Konfliktlinien unterschiedlicher Epochen erwiesen. Ein Tagungsband, der durch weitere Beiträge an einzelnen Stellen das Potenzial dieses Ansatzes ausloten wird, ist in Vorbereitung.

Anmerkung:
1 Vgl.: < http://www.dresden.de/index.html?node=34953> (08.11.2006)


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